„Als Fantasy könnte man jede Art von Prosa bezeichnen, die
Elemente wie Spiritismus, Mythologie, Magie,
Wahrsagung, Übernatürliches und so weiter aufgreift.“
– L. Ron Hubbard
Eine Einführung in die Sciencefiction
von L. Ron Hubbard
(Fortsetzung)
Nur etwa ein Zehntel der Geschichten, die ich geschrieben habe, hatten etwas mit Sciencefiction und Fantasy zu tun. Ich war ein sogenannter „Hochproduktionsschreiber“, und der Markt für Sciencefiction wäre gar nicht groß genug gewesen, um all das aufzunehmen, was ich schreiben konnte. Zunächst hatte ich mir während der acht Jahre vor dem Gespräch mit Street & Smith einen Namen mit Veröffentlichungen anderer Art gemacht.
Campbell verbreitete sich nicht sehr darüber, er hielt aber die meisten Geschichten, die ich ihm ablieferte, nicht für Sciencefiction, sondern für Fantasy, und das ist, genau betrachtet, etwas ganz anderes. Einige meiner Geschichten veröffentlichte er ausdrücklich als Sciencefiction – unter anderem Final Blackout, um nur eine von vielen zu nennen. Ich konnte mich bei meiner Arbeit durchaus auf naturwissenschaftliche Grundkenntnisse stützen, und ich hatte sogar, was Raketentechnik und Flüssigkeitsantrieb betraf, ein wenig Pionierarbeit geleistet. Aber was mich damals wirklich faszinierte, waren Studien über den wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Menschen in der Vergangenheit, weil ich herausfinden wollte, ob er jemals zu etwas Stichhaltigem gelangt war. Diese Frage und meine Vorliebe für die alten Erzählungen, die man heute unter dem Titel Tausendundeine Nacht kennt, brachten mich dazu, tatsächlich ein bisschen Fantasy zu schreiben. Um diese Geschichten unterzubringen, gründete Campbell eine andere Zeitschrift, das Magazin Unknown. Die Zeitschrift behauptete sich auf dem Markt, solange ich Romane für sie schrieb. Aber dann kam der Krieg und ich musste, wie viele andere, fort und Unknown hielt sich, soweit ich weiß, nur ungefähr drei Jahre. Es war nicht leicht, Romane und Geschichten von dieser Art aufzutreiben, und diese spezielle Richtung war auch nicht gerade Campbells Stärke.
Wenn man jemandem also klarmachen will, dass Sciencefiction ein spezieller Zweig der Fantasy ist und deutlich von ihr abgegrenzt werden kann, dann befindet man sich unglücklicherweise im Widerspruch zu einer heute allgemein anerkannten Festlegung der Begriffe; es ist ein Zeichen der Zeit, die Genres miteinander zu vermischen. Ich stelle dasselbe bei der Musik fest; da werden auch die unterschiedlichsten Formen zu einem Brei zusammengemengt. Oder man nehme den Tanz: Da werden so viele Stilarten ineinander verwoben und zu einem einzigen „Tanz“ verbunden, dass ich mich fragen muss, ob die Choreografen überhaupt noch die Möglichkeiten unterschiedlicher Ausdrucksformen beim Tanz kennen. Die vorherrschende Meinung ist heutzutage, dass etwas Neues nur noch aus dem Widerstreit entstehen könne. Vielleicht lässt sich das auf den Philosophen Hegel zurückführen, aber ich gebe doch zu bedenken, dass er auch gesagt hat, Kriege seien um des geistigen Heiles der Menschen willen nötig, und anderen Unsinn. Wenn alle neuen Ideen nicht anders entstehen können als dadurch, dass man schon bestehende Ideen im Widerstreit zueinander sieht, dann muss man konsequenterweise auch die Möglichkeit leugnen, dass zuvor nie gedachte Ideen überhaupt geschaffen werden können.
Was ist dann also unter Sciencefiction reinster Machart zu verstehen?
Nimmt man es ganz wörtlich, dann muss Sciencefiction etwas mit dem Zeitalter der science, der Naturwissenschaften, zu tun haben. Aber auf die Gefahr hin, dass ich einen Aufschrei des Widerspruchs hervorlocke (ein Risiko, das ich mein ganzes Leben lang eingegangen bin; wobei es mich, wenn ich dann wirklich Widerspruch geerntet habe, nicht weiter gekümmert, sondern nur veranlasst hat, unbeirrt meinen Weg zu gehen und meine Arbeit zu tun), auf diese Gefahr hin will ich ein paar Dinge klarstellen:
Sciencefiction kommt NICHT nach der Tatsache einer wissenschaftlichen Entdeckung oder Entwicklung. Sie ist vielmehr der voraneilende geistige Bote dessen, was möglich ist. Sie liefert das gedankliche Vorbild zu dem, was irgendjemand in der Zukunft leisten wird. Dennoch hat sie nichts mit Prophezeiung zu tun. Sie ist wie ein Traum, und wie dieser kommt sie vor der Morgendämmerung, in der dann der Erfinder oder der Wissenschaftler erwacht und sich über seine Bücher beugt oder in sein Laboratorium eilt und sich mit der Frage beschäftigt, ob sich der Traum in reale Wissenschaft verwandeln lässt.
Über die Frage, ob dies oder jenes nun wirklich Sciencefiction gewesen sei, lässt sich endlos debattieren: Man kann zurückgehen bis zu Lukian, zweites Jahrhundert n. Chr., oder zu Johannes Kepler (1571–1630), der nicht nur die moderne dynamische Astronomie begründete, sondern auch das Buch Somnium verfasste, in dem ein imaginärer Raumflug zum Mond beschrieben wird; oder zu Mary Shelley und ihrem Frankenstein – zu Poe oder Verne oder Wells. Versuchen wir es doch einmal mit einem Beispiel: Ein Mann erfindet einen Schneebesen. Später schreibt ein Schriftsteller eine Geschichte, in der ein Schneebesen vorkommt. Was er da schreibt, ist natürlich keine Sciencefiction. Aber man kann das Beispiel ein wenig verändern: Ein Mann beschreibt in einer Geschichte einen Metallgegenstand, der bei schneller Drehung Eischnee schlagen kann, wobei wir natürlich von der Annahme ausgehen müssen, dass es ein derartiges Werkzeug noch nie gegeben hat. Also hat er Sciencefiction geschrieben. Und irgendjemand anders liest irgendwann – vielleicht eine Woche, vielleicht hundert Jahre später – diese Geschichte und sagt sich: „Ja, doch, es könnte sein, dass so etwas funktioniert.“ Und stellt einen Schneebesen her. Dabei spielt es keine Rolle, ob es wirklich möglich ist, dass zwei Metallgebilde, die sich gegeneinander drehen, Eischnee schlagen können, oder ob jemand so etwas erfunden hat oder ob wir heute noch auf den Schneebesen warten müssten; wie auch immer, der Mann hat Sciencefiction geschrieben.
Was versteht man unter „fiction“? Der Begriff ist eine Art Homograf, d. h. er hat zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen. Ein Literaturprofessor definiert „fiction“ als „eine literarische Arbeit, deren Inhalt auf schöpferischer Imagination beruht und sich nicht unbedingt auf Fakten gründen muss; Werke dieser Art bilden eine eigene Literaturgattung, die Gestaltungsformen sind Romane, Kurzgeschichten und Schauspiele“. Das Wort kommt aus dem Lateinischen, von fictio, was „Ausgestaltung“, „Erfindung“ bedeutet, von fictum, dem Partizip Perfekt des Verbs fingere, und das heißt „bilden“, „gestalten“, „formen“.
Wenn man aber nun das Wort „science“ hinzufügt, also die Verbindung „Sciencefiction“ erhält, dann bekommt das Wort „fiction“ eine doppelte Bedeutung: Erstens sagt es aus, dass die in der Geschichte verwendeten wissenschaftlichen und technischen Beschreibungen mindestens teilweise fiktiv sind. Zweitens gilt aber auch, dass jede Art von Geschichten auf Fiktion, auf freier Erfindung beruht. Das American Heritage Dictionary of the English Language definiert Sciencefiction als „Erzählung, in der naturwissenschaftliche Erfindungen oder Weiterentwicklungen einen wesentlichen Bestandteil der Handlung oder des Hintergrunds abgeben; besonders gilt dies für fiktive Erzählungen, die auf eine Vorhersage künftiger Möglichkeiten der Naturwissenschaft gegründet sind“.
Gestützt auf die Definition des Lexikons und auf die Erinnerung an zahlreiche Diskussionen mit Campbell und mit meinen damaligen Kollegen von der schreibenden Zunft, möchte ich also sagen, dass Sciencefiction etwas mit dem materiellen Kosmos und mit den Naturwissenschaften zu tun hat; was durchaus auch volkswirtschaftliche, soziologische, medizinische und andere Wissenschaften einschließt; denn sie alle haben ihre Grundlage in materieller Substanz.
Aber was ist dann Fantasy?
Wenn es sich dabei lediglich um den Ausdruck lebhafter Einbildungskraft handelte, dann müsste man viele Volkswirtschaftler, Ministerialbeamte und ähnliche Berufszweige den professionellen Autoren zurechnen! Würde man den Begriff „Fantasy“ als Erfindungsgabe charakterisieren, so könnte man mit dem gleichen Recht etwa eine komplette Bibliothek als „Wörtersammlung“ bezeichnen. Das wäre zu vereinfachend, zu allgemein gefasst.
Heutzutage ist vieles von dem, was einfach dazugehört, um „Fantasy“ zu einem für jedermann verständlichen Begriff des Fiktiven zu machen, in der Hektik unseres Lebens untergegangen. Das, was ich meine, findet man kaum noch in einem Nachschlagewerk. Diese Bereiche waren Spiritualismus, Mythologie, Magie, Weissagung, das Übernatürliche und viele andere Gebiete dieser Art.
Nichts davon hat wirklich etwas mit dem Universum zu tun, so wie es für uns erklärbar ist. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass an diesen Gebieten nie etwas dran war oder sie nicht in Zukunft zu neuer Bedeutung gelangen könnten. Es bedeutet lediglich, dass die Menschen sich derzeit in einem materialistischen Rauschzustand befinden.
Wenn es sich dabei lediglich um den Ausdruck lebhafter Einbildungskraft handelte, dann müsste man viele Volkswirtschaftler, Ministerialbeamte und ähnliche Berufszweige den professionellen Autoren zurechnen!“
Der Großteil der Gebiete, die ich erwähnt habe, besteht aus falschen Informationen, aber wahrscheinlich wird es niemals möglich sein, alle solchen Phänomene zu erklären. In erster Linie ist uns das gewaltige Wissen, das darin verborgen war, deshalb verloren gegangen, weil es eine lange Kette von Fortschritten in den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gegeben hat. Ich bemerke allerdings, dass unsere moderne Naturwissenschaft immer dann, wenn sie glaubt, sie sei in allen Fragen den Dingen umfassend auf den Grund gekommen, tatsächlich zu irgendeinem Ursprung unseres Wissens zurückkehrt (und ihn manchmal bereitwillig aufnimmt), zum Beispiel zu den Mythen des altägyptischen Kulturraums, nach denen der Mensch aus dem Schlamm entstanden ist. Ich will damit nichts weiter sagen, als dass es eine ganze Klasse von Phänomenen gibt, die wir nicht dem materiellen Bereich zuordnen können. Sie sind ihrem Wesen nach nicht materiell und sie passen nicht in unser Bild des Universums. Wie falsch auch manche von den alten Vorstellungen gewesen sein mögen, so bleibt doch zu fragen, ob sie nicht zumindest in Teilen auch für uns Gültigkeit haben könnten. Man müsste sich sehr eingehend damit beschäftigen, um all das enthaltene Wissen, die Annahmen und die Glaubensvorstellungen in ihrem Zusammenhang zu ergründen. Ich will niemandem Anlass zu der Behauptung geben, dass ich an all diese Dinge glaubte, sondern lediglich darauf hinweisen, dass es noch eine andere Sphäre gibt – neben einem gläubigen und oft sogar allzu naiven Materialismus.
„Fantasy“, als literarischer Begriff, ist im Lexikon definiert als „literarische oder in dramatische Form umgesetzte Dichtung, zu deren Charakteristika fantastische oder übernatürliche Elemente gehören“. Auch diese Definition erscheint mir zu eng.
Als Fantasy könnte man jede Art von Prosa bezeichnen, die Elemente wie Spiritismus, Mythologie, Magie, Wahrsagung, Übernatürliches und so weiter aufgreift. In Tausendundeiner Nacht sind Erzählungen, Legenden und Märchen aus zahlreichen Ländern und Kulturkreisen gesammelt – nicht nur aus Arabien, wie manche glauben. Der ursprüngliche Titel lautete Tausendundeine Nacht der Unterhaltung. Das Buch ist eine wahre Fundgrube all dessen, was in den Bereich der Fantasy gehört.